Viele ältere Menschen nutzen die Möglichkeit des Vorsorgeauftrages und bestimmen die Kinder als ihre Vertretung. Andere übertragen diese Aufgabe einem Freund oder einer Freundin. Sie alle wollen so selbstbestimmt ihren letzten Lebensabschnitt gestalten. Doch was ist mit all den Menschen, die keine Familie haben und gesellschaftlich isoliert sind? Für sie braucht es neue Ideen, schreibt Guido Fluri, Initiant der erfolgreichen Wiedergutmachungsinitiative für ehemalige Verding- und Heimkinder.
«Ich entscheide über mein Leben selbst». In unserer liberalen Gesellschaft würde wohl jeder und jede diesen Satz unterschreiben, denn die Selbstbestimmung ist ein hoher Wert. Selbstverständlich ist sie keinesfalls. Dies wissen insbesondere diejenigen Menschen, welche die Fremdbestimmung am eigenen Leib erfahren mussten – wie etwa die ehemaligen Verding- und Heimkinder sowie die anderen Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen. Ihre Integrität wurde verletzt. Vor allem in sogenannten «closed institutions», Heimen etwa, erlebten viele psychischen und physischen Missbrauch.
Betroffene von Zwangsmassnahmen nennen sich oft «Überlebende», was vom englischen Wort «Survivor» abgeleitet ist. Sie wollen damit ausdrücken, dass sie trotz aller Widrigkeiten weitergekämpft haben. Dieses Wort sagt aber auch, dass die zugefügten Wunden nie verheilen, nie vergessen gehen. Gerade im Alter kehren die Erinnerungen an die Kindheit und Jugend im Guten wie im Schlechten zurück. Dies trifft auch auf traumatische Erfahrungen zu, wie eben die Misshandlungen in der fremdbestimmten Umgebung. Es ist darum kein Zufall, dass viele Verding- und Heimkinder uns immer wieder darüber berichten, wie sehr sie der Übertritt in ein Alters- oder Pflegeheim ängstigt. Auch die Vorstellung, dass im Alter erneut Behörden über ihr Schicksal entscheiden könnten, schreckt viele auf.
Während ältere Menschen, die familiär und gesellschaftlich eingebunden sind, ihrem Willen heute über einen Vorsorgeauftrag Ausdruck verleihen können (oder bewusst auf einen Vorsorgeauftrag verzichten), sind isolierte Menschen in vielerlei Hinsicht benachteiligt. Was genau bedeutet die Personen- oder Vermögenssorge? Was heisst eine Vertretung im Rechtsverkehr? Manche haben niemanden, der ihnen den Vorsorgeauftrag erklären könnte. Das grösste Problem aber ist, wenn einsame Menschen gar keine Person benennen können, die für sie im hohen Alter und beim Verlust der Urteilsfähigkeit entscheidet.
Vor diesem Hintergrund ist es an uns allen, die im Erwachsenenschutz tätig sind, beim Thema Vorsorgeauftrag diejenigen Menschen mitzudenken, welche selbstbestimmt eine Vertrauensperson benennen wollen, dies aufgrund ihrer Umstände aber nicht können. Ideen sind gefragt!